Im Knappenanger ein ausgetrocknetes oder erfrorenes Rinnsaal, das steinerne Flussbett ganz mit Mehl bedeckt. Über einen hölzernen Steg gehe ich auf die andere Seite, wo kleine Häuser in lila und grün sich ordnen. Darüber der bleiche Himmel und die Berge von allen Seiten, sie schauen herab, es hat etwas Drohendes, sagt später im Museum jemand zu mir. An Feldern und Höfen vorbei über einen schmalen Weg. Ich denke, ob ich es verpasst habe, in die falsche Richtung gegangen bin, so wie gestern auf dem Weg nach Pill einmal, als ich im Kreis die Bergspitze umkletterte.

Auf dem Vorplatz schlagen die Absätze wild – an deren Geräusche ich noch nicht gewöhnt bin, also rufe ich W. zu, ob er mich gerade angerufen habe, denn mein Handy hat geklingelt ich habe es aber nicht mehr rechtzeitig erwischt. Auf dem Hinweg eine Cola gekauft und eine Brezel in dieser gelbweißen Faschingstüte. Das Handy verwischt in der Tasche.

Eine Treppe hinauf zur Ausstellung STOFF – die mich angezogen hat. Die Stoffe sind es die mich umweben schon seit Jahren, wenn ich schreibe, also wenn ich nach einem stofflichen Äquivalent für meine Wahrnehmungen suche sind es häufig Kleiderstoffe, die mir einfallen.

Wir steigen eine schmale Treppe hinauf und erreichen einen länglichen Raum mit Leuchtkästen in denen fein gemusterte schon ganz durchgeschabte Gewebe aufgebahrt sind, heraus gegriffen aus ihrem Kontext, denn eigentlich werden Stoffe getragen oder anders benutzt, aber hier liegen sie flach. Liegen flach und hell erleuchtet, wie Bilder wie Zeichnungen und genau so werden sie auch wahrgenommen. Ihre Qualität als Zeichnung als Tableau kommt heraus, ihre Struktur, ihr Material, ihr Rhythmus in den Mustern und die Spuren die sich ihnen eingeschrieben haben mit der Zeit.

Es sind Stoffe und Kleider aus Marokko, aus dem Iran, aus Griechenland: Zypern, Kreta steht auf großen mit kleinen Nadeln an die Wand gesteckten Erklärungsblättern (laminiert). Es sind prächtige buntgestickte Muster und Ornamente, Seidenstickereien, ein langer Brokatstoff mit eingewirkten Silberfäden, deshalb schimmert er so. Eine Weißstickerei aus Zypern, mit weißem Faden in weißen Stoff gestickt, sodass sich das Gewirke reliefartig abhebt von dem glatten Leinengewebe. Ein hoher langer Kinderhut mit endloser Stickerei. Indische Seiden, ein Sari, weiß und gold, diffizile Färbe- und Webtechniken. Unser begehbarer Kleiderschrank, sagt die Führerin, hebt eine Stoffbahn an, darunter Manteaus, verschieden ornamentiert, Muster von Zypressen & Pfauen = Ewigkeit. Ein Anliegen der Ausstellung oder ein überwölbender Zusammenhang, ist der Gedanke, dass Stoffe Geschichten erzählen. Es verwebt sich in ihnen allerhand, schon in ihrer Entstehung, das vom Vorhanden Sein der Rohstoffe abhängt, die zum Weben, Knüpfen, Stricken, Sticken notwendig sind.

Doch es sind nicht nur oder nicht vordergründig die Geschichten, die mich so anziehen an ihnen, den Stoffen, es ist ihre ästhetische Qualität, eben das, was sich nicht so leicht nacherzählen, recherchieren und zusammensetzen lässt, es ist eher etwas, wofür ein eigener Ausdruck gefunden werden muss. Das Gefühl, das ich habe, wenn ich die Stoffe sehe, so ausgestellt in ihren Schaukästen, fremd und zitternd in der Umgebung, die gar nicht für sie geschaffen ist. Sie erzählen, aber sie machen auch spürbar, fühlbar, umknüpfen, umbinden verschnüren und beengen den Körper oder die Gedanken oder beides zugleich. Tournüre etwa oder Korsett, diese formenden Kleidungsstücke. Eine schmale Weste mit langen Ärmeln hängt in der Ausstellung, sie ist nachtblau, gold bestickt, im Inneren gemustert gefärbter Leinenstoff, wie ein Kinderblouson, die feinen Knöpfe hängen an etwas zu lockeren Fäden.

Im oberen Stockwerk ein indischer Damenmantel, der normalerweise lange leere Ärmel hat, die hier aber abgeschnitten wurden. Die Damen warfen oder werfen ihn sich also einfach über brauchen die Ärmel gar nicht, dennoch sind sie da und hängen dann auf dem Rücken funktionslos hinab.

Im Museumscafé aus hellem Holz stellt der Kellner einen kleinen weißen Porzellanteller auf den Tisch, Mini-Brezeln darauf, das Bergpanorama im Hintergrund. Die Dämmerung legt sich in hellblauen und grauen Tönen über die Stadt, klingt weich und vogelhaft.

Myriam Khouri, 31.1.2020