In einem Balkonausschnitt hängt Wäsche auf einer Leine, es sind etwa drei lange Hosen, zwei davon gemustert und drei Oberteile mit langen Ärmeln. Ich schaue interessiert hin, will sie mir einprägen für eine Zeichnung später. Ich schaue so genau hin, dass ich ausrutsche auf dem immer wieder von Eislachen belegten Asphalt, es ist das dritte Mal bei dieser Wanderung dass ich falle, jedes Mal rutschte ich etwas gewagter aus, dieses Mal fange ich mich mit den Händen schon auf dem Asphalt aufkommend auf, die vorigen Male auf dem Berg im Tiefschnee, als ich unbemerkt auf eine vereiste Stelle trat, fing ich mich noch in der Luft, schlenkerte mit den Armen und dem Oberkörper um das Gleichgewicht wieder zu erlangen.
Der Schnee liegt hoch, liegt tief. Gestern auf der Fahrt nach Innsbruck aus dem S-Bahn Fenster sah ich solche Schneemassen, dass ich staunend dasaß und dachte, das Mädchen mir gegenüber wundert sich in ihrer orangenen Jacke, was ich so anstaune. Knickend feine Straucharten unter dem sich wölbenden dicken Weiß. Ich suche immer noch nach einer Entsprechung, kein Wort wird dieser elastischen Masse gerecht. Die Berge als ich sie heute im Frühlicht aus dem Badfenster sah wirkten in ihrer weißen Gewandung aus einer festen aber doch gut schnitzbaren Masse geschabt – Silikon, weiß eingefärbt oder Wachs?
Die Farben im Wald sind prächtig an diesem Tag, heute, Donnerstag, an dem die Sonne so strahlt, im Nachmittagslicht steige ich also durch den Wald und lande auf dem Seniorenweg, ich folge ihm mehr oder weniger freiwillig, nachdem der Weg den ich zuerst versuchte zu einem Häuschen hinauf, bei eben diesem Häuschen endete. Ehrlich gesagt nahm ich zuerst diesen Weg, weil ich nicht den Seniorenweg nehmen wollte, nun füge ich mich, folge ihm, immerhin führt er zum Silberwald. So seniorenhaft kommt er mir gar nicht vor, der Weg ist schmal, stellenweise vereist und daneben fällt ein Hang steil ab, prächtige Blicke aufs Tal öffnen sich: die Wohntürme und die bedeckten Dächer der kleineren Häuser, das Ensemble aus Kirchtürmen und gegenüber die hübschen Berghänge in der klaren Luft. Auf den Sträuchern liegen Ballen von Schnee und auch auf den Tannen wiegen sie sich elastisch im Wind, die Hänge sind ganz zugeschneit, darunter ist manchmal schroffes Gestein sichtbar, eine schmale Rinne ist ausgetreten von vielfachen Sohlenmustern, daneben liegt der Schnee noch hoch. Es glänzt, glitzert, funkelt- die tief stehende Sonne betont das Rostrot der Stämme, das Tannengrün, das Beige der Halme und Sträucher, alles wird hervorgekehrt in seiner ganzen Lebendigkeit spürbar und sichtbar, wirkt so frisch – ich kann es kaum fassen und bleibe immer wieder stehen, nehme das Phone aus dem Ledertäschchen und fotografiere, meine Hände sind schon eisig.
Beim Aufstieg einige ruinöse Neubauten aus rohem Beton, hellgrau, boxenförmig, rechteckig geöffnet, teilweise verglast, Baumaterial in Säcken im Interieur. Ich schreibe ruinös, weil sie noch nicht fertig gestellt schon wieder zerfallen wirken. Hier und da hängen Kabel aus den Wänden, sind die noch unverglasten Fenster mit Brettern zugestellt, liegt Mörtel und Geröll um sie herum. Wahrscheinlich sind die Arbeiten für die Winterzeit unterbrochen, aber es hat etwas Verlassenes, als habe jemand angefangen und irgendwann aufgegeben.
Im Silberwald stecken einige Gegenstände aus Stein und rostigem Metall, Holz und Blech im Schnee, darunter eine kleine Bergkapelle.
Kurz bevor sich der Ort wieder an den Wald anknüpft öffnet sich ein weiter Schneehang. Es ist, als ich abwärts gehe, nur der weiße Buckel zu sehen, der sich erhebt, ganz glatt und weich ausgestreckt, nur ein paar Schlitten- oder Skispuren in der einheitlich weißen Fläche, die sich vor mir anhebt, blau und golden in der Sonne glitzert, irgendwo, ich weiß nicht, wie ich es verorten soll, steht eine große dunkelbraune Holzhütte, etwas verfallen, bis zum Saum der Bäume sehr weit weg nur glattes Weiß, als ich aufwärts gehe kommt mir jemand in Skiern entgegen gefahren, ganz rot gekleidet – ich bin offenbar so fasziniert, dass ich beinahe falle, das war die zweite Gelegenheit des Ausrutschens auf dieser Wanderung.
Auf dem Rückweg durch den Knappenanger, die Autos fahren mich fast um.
Ein unbewohntes Haus mit rotbestäubter Fassade. Das Dach der Franziskanerkirche weiß.
Im Treppenhaus kommt mir eine Nonne entgegen und sagt der Aufzug sei kaputt, Wartungsarbeiten.
Sand zeigt in mancher Hinsicht Ähnlichkeit mit Schnee.
In Innsbruck ein Buch über die Sahara ausgeliehen, im Cafe Central notiere ich daraus: gebleichtes Kamelgebein.
Myriam Khouri, 6.2.2020