25.01.2020
Wanderung nach Pill. Ein winziges Stück Käse im Schnee auf dem schmalen sich windenden über Hügel und Schluchten hinwegführenden Waldweg. Ich notiere es bevor ich es vergesse, das gelbe Fragment im weißen Schnee. Hier gibt es noch Schnee – „da ist die Welt noch in Ordnung“ Satz von Rosa als ich sie auf den Schnee in Russland ansprach.
Ich bin bergauf gegangen hinter der Klosterkirche, es kamen zunächst einige Wohnhäuser, alte und neue. Traditionell wirkende, leicht verfallene, verwunschene Gärten mit kleinen Brunnen und gestapelten Holzscheiten, dann moderne Architekturen aus Holz und Glas zusammen gefügte Kuben, abgetreppt und asymmetrisch verklebt. Es geht steil bergauf, aber bald habe ich Schnee unter den Füßen, enfin. Kaum zu glauben, lang nicht mehr gesehen und gespürt, weicher weißer pulvriger Schnee, aus dem schwarze Perlenschnüre wachsen. Auf der Aussichtsplattform vor der Burg sitzen zwei Leute, Mann und Frau, halten Thermosbecher in den Händen sprechen abwechselnd türkisch und deutsch. Alle Leute gegrüsst die entgegen kamen. Es werden aber immer weniger Leute, die letzte traf ich kurz nach dem Waldeingang als ich mich dem Brunnen aus Stein näherte, auf seinem waagerechten Becken lag ein Holzbrett und auf diesem hat sich eine Eisschicht gesammelt, aus dem Wasserhahn aber tropfte es und das Tropfen erzeugte einen hellen Klang auf dem Eis. Dazu hörte ich hinter mir ein Rascheln, daraus Atmen Schritte wurden, ich wartete drehte mich nicht um, fotografierte den Brunnen, erst als es eindeutig Schritte waren die näher kamen, drehte ich den Kopf, eine Frau rauschte vorbei, blondes Lockenhaar wehte unter roter Strickmütze mit Eiskristallen, Griasdi! Rief sie und schaufelte ihre Schneestöcke, Skistöcke, Walkingspieße in den Schnee. Metallene Jacke auf blauem Glas.
Glasskulpturen in den Wasserfällen. Ich habe so etwas noch nie gesehen, unterwegs tauchten immer wieder kleine Wasserfälle auf, die beinahe senkrecht nach unten verliefen und gefroren waren, überhaupt fallen die Hänge hier so steil ab- ich hatte mehrfach Angst herunter zu fallen. Über die Bäche hinweg führten vereiste Holzstege, sie waren von dicken Schichten aus gefrorenem Wasser bedeckt (wie Milchschnitte), zwischen den scharfkantigen Felsbrocken aber, war das Wasser zu rundlichen Formen gefroren, kleine Bälle aus Schnee, die Eis-Ikonen wickelten sich um Pflanzenkabel verdickten sich an einigen Stellen waren geschliffen glatt und gläsern, an anderen Stellen wo das Wasser steiler fiel formten sich Messer und Spitzen aus dem Eis, darunter kleine grüne Blätter.
Winzige violette Blüten in einem dichten Blattbart am Mauerwerk noch beim Aufstieg.
Alles so gepolstert hier oben, ich ging über die Lichtungen auf denen der Schnee weggetaut war, Moos und weiche Tannenadeln bedeckten den Boden- ging auf Gymnastikmatten. Auf den verschneiten Wegen war der Schnee so festgetreten, dass ich aufpassen musste nicht zu fallen. Der Weg war sehr schmal und direkt daneben, wie schon bemerkt, ein steiler Hang, in die Tiefe. Mit der Zeit fanden meine Füße Methoden um sich am Boden festzuklammern, zu haften und nicht auszugleiten, schneller laufen, Sprünge machen, einmal hielt ich mich dennoch mit den Händen im Pulverschnee.
Ich ging und ging und sah mehrmals einen gelben Pfeil mit der Aufschrift: Pill 50 Minuten, obwohl ich den Eindruck hatte schon eine halbe Stunde davon gegangen zu sein, kann sein, verlief mich kurz, umrundete eine Hügelkuppe mehrfach, stapfte durch tieferen Schnee, Eiswege, dann wieder eine federnde Lichtung. Fichten umstanden mich hoch und dicht, ihre dreieckigen Kronen atmeten die kühle Luft, es war noch hell. Es öffneten sich immer wieder schöne Blicke auf die gegenüberliegenden hohen Berge mit ihren Schneespitzen, die ich auch von meinem Fenster aus sehe. „Jeden Morgen starre ich erstaunt die Berge vor dem Fenster an“ schrieb ich noch heute Vormittag in einer Email.
Ich gerate zwischendurch immer wieder in Zweifel, ob ich noch auf dem richtigen Weg bin, nach Pill. Was ich in Pill will. Nichts. Einen Kaffee vielleicht. Wenn ich mich nun heillos verlaufe? Die Angst ist aber nicht allzu groß, vielmehr versetzt mich der Wald, der Schnee, das Gehen, die Berge gegenüber und der grünblau sich dahinziehende Inn in Entzücken. Zwischendurch kleine Grotten mit Marienfiguren, einmal ein Minibergwerk aus Holz.
Der Weg entlässt mich aus dem Wald auf eine breite Autostraße, Motoren dröhnen vorbei. Ich kehre um und umrunde nochmal die Hügelspitze von der ich gerade kam. Dann verstehe ich, dass ich die Autostraße überqueren muss, um auf der anderen Seite wieder in den Wald zu tauchen.
Nähere mich irgendwann Pill oder nehme es an, denn unten zeigen sich flache hässliche Gebäude, eines mit türkisener Schrift, nahe am Waldrand, auch höre ich das Raunen der Autos. Der Wald ist aber immer noch schön und bald stehe ich vor den ersten Häusern, eine Art Terrassenhäuser in den Wald hinein gebaut manche davon bunt gestrichen. Komme am Ortsrand heraus, ein Schild zum Bahnhof, dem ich folge, immer geradeaus, ich frage mich unterwegs wo das Dorf ist, aber den Bahnhof finde ich bald, Brücke über den Inn überquert, weißer Steinteppich weich umschäumt.
Es kommt eine S-Bahn und ich steige ein, hoffe, dass sie nach Schwaz fährt. Habe keine Fahrkarte, dachte ich könne sie drinnen kaufen, da sagt der Lautsprecher schon durch: nächster Halt. Schwaz.
Ich steige aus, schwarz nach Schwaz gefahren.